Marlenes Geburt – aus der Sicht des werdenden Vaters

Als meine Frau mir vom Geburtshaus erzählte, war ich anfangs etwas skeptisch. Tatsächlich beherrscht der Gedanke, dass Kinder in einem Krankenhaus zur Welt kommen, immer noch unsere Köpfe. Wo sollten Kinder sonst geboren werden?
Mitten im Zentrum, neben der schönsten und sehr belebten Straße Harburgs, liegt das Geburtshaus der Elbhebammen. Sobald man die blaue Tür durchquert, die einen von der Außenwelt abtrennt, befindet man sich gleich in einer anderen Welt.


Durch die Schwangerschaft wurden wir von Freia, unserer Hebamme, begleitet. Wir hatten gleich nach dem ersten Gespräch das Gefühl, dass die Chemie zwischen uns stimmt. Von allen Elbhebammen, die wir kennengelernt durften, waren wir begeistert.
Freia stand uns jederzeit mit Rat und Tat zur Seite. Nun muss man (auch ich als Mann) dazu sagen, dass wir tatsächlich eine recht unkomplizierte Schwangerschaft hatten. Bis zum Tag der Geburt hatten wir eine verhältnismäßig ruhige und sehr schöne Zeit. Natürlich kam unser Baby nicht wie erhofft am Stichtag zur Welt, sondern ließ sich noch zehn weitere Tage Zeit. Am Geburtstag haben wir uns dazu entschlossen, dem Glück ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Unter der Aufsicht von Freia hat meine Frau dann den Wehencocktail getrunken, der sogar mit einem kleinen Sonnenschirmchen serviert wurde. Nach einem entspannten Nachmittag in der Eisdiele und einem kurzen Nachmittagsschlaf zeigten sich die ersten wirkungsvollen Anzeichen.
Allerdings kamen diese Anzeichen gleich ziemlich stark. Die Wehen begannen um 17.30 Uhr direkt nach dem Abendessen. Sie kamen oft und sehr regelmäßig. Aus dem Geburtsvorbereitungskurs hatte ich mir gemerkt, dass es bald Zeit wäre die Koffer zu packen und loszufahren. Um die Schmerzen nochmal etwas zu lindern, haben wir ein Bad eingelassen, aber die Wehen kamen weiterhin alle drei Minuten und hielten längere Zeit an. Um genau zu sagen zwischen 45 und 60 Sek. Wieso auch immer hatte ich die Stoppuhr mitlaufen lassen und fleißig protokolliert. Gegen 20.30 Uhr haben wir dann noch einmal mit der Hebamme telefoniert und gemeinsam bzw. auf meinen Wunsch hin beschlossen in das Geburtshaus zu fahren. Wenn Obst reichen, Wasser holen, Rücken massieren und gutes Zureden nicht mehr hilft, dann ist „Mann“ irgendwann mit dem Latein am Ende und braucht Hilfe.
Erstaunlicherweise war ich ruhig und gestresst zugleich. Immer mit Blick auf die Frau, habe ich sämtliche fehlende Gegenstände zusammengetragen und im Auto verstaut. Gegen 20.50 Uhr hat uns Freia im Geburtshaus in Empfang genommen. Hier konnte ich mich gleich etwas entspannen, da ich wusste, dass die Verantwortung nun nicht mehr nur auf meinen Schultern liegt. Meiner Frau tat es gut, sich in einem bekannten Umfeld wiederzufinden. Die beruhigenden Worte von Freia trugen erheblich dazu bei, dass meine Frau entspannte.
Obwohl wir anfangs gar nicht vorhatten den Geburtspool zu nutzen, kam uns die Möglichkeit mit fortschreitender Wehentätigkeit sehr gelegen. Johanna kam etwas später als zweite Hebamme und tatkräftige Unterstützung hinzu. Gemeinsam fieberten wir dem Finale entgegen. Die Wehen kamen, die Wehen gingen. Atmen, Seufzen, Erholen. Und wieder von vorne. Der Muttermund war kurz nach unserer Ankunft bereits sechs Zentimeter geöffnet und weitete sich rasant. Wir hatten befürchtet, dass es noch gar nicht richtig losgegangen ist. Gegen 23 Uhr stand die Zeit für mich auf einmal still.
Die Minuten wurden immer länger. In meinem Kopf sammelten sich Gedanken, Fragen und Ängste. Das hier geschieht gerade wirklich!
Die eigene Frau mit einem Mal (zum ersten Mal) so schmerzerfüllt schreien zu hören, war eine sehr ungewohnte Erfahrung, die einem auch des Öfteren Tränen in die Augen trieb. Denn du als Mann kannst nur dein Repertoire abspielen. Meine Frau und ich hatten uns aber schon vorab auf ein paar Zeichen geeinigt, sodass ich wusste, wann ich agieren kann und wann besser nicht. Gegen 23.15 Uhr fing meine Frau dann endlich an zu fluchen und zu schimpfen. Sie hatte „keinen Bock mehr“ und wollte „nach Hause fahren“. Auch hier erinnerte ich mich an den Vorbereitungskurs. Wenn die Frau kurz vor der Entbindung steht, dann erreicht sie einen Punkt, an dem sie absolut nicht mehr kann und für sich beschließt nach Hause zu fahren. Hätte ich vorher nichts von der Übergangsphase gehört, hätte ich meine Frau vermutlich gepackt und wäre mit ihr ins Krankenhaus gefahren, weil sie dann Schmerzmittel bekommen hätte oder irgendwas, das hilft. Durch die Unterstützung der Hebamme und den Vorbereitungskurs waren wir aber von Beginn an gewappnet.
Und dann war der eine Augenblick da: Nach letztem vorsichtigem Schieben schwamm gegen 23.29 Uhr mit einem Mal ein kleines Wesen im Pool. Ein kleiner Fremdkörper, der doch so vertraut ist. Neben unglaublicher Erleichterung folgten unbeschreibliche Gefühle, die jeder selbst erlebt haben muss.
Es ist überwältigend.
Kurz nach der Geburt haben wir uns gemeinsam, von dem Marathon der letzten sechs Stunden, erholen können. Mit dem frisch geborenen Baby auf dem Arm, ließen wir die letzten Stunden Revue passieren. Zeit die wir anderswo so nicht bekommen hätten.
Sehr spannend war auch der Blick auf die Plazenta und das Durchtrennen der Nabelschnurr. Einfach eine tolle Erfahrung in angenehmer Atmosphäre und ohne Zeitdruck, trotz später Stunde.
Gegen 03.00 Uhr in der Früh traten wir dann als stolze Eltern durch die blaue Tür in die warme Mai-Nacht. Jene Tür, die wir vor rund neun Monaten zum ersten Mal durchschritten haben.
Ich bin den Elbhebammen unheimlich dankbar, bin stolz auf meine beiden Frauen und seit dem Tag der Geburt unheimlich müde. Aber nichts in der Welt kann dieses unglaubliche Gefühl ersetzen.
Und Babys müssen nicht im Krankenhaus geboren werden!